Wie Herbert Diess den weltgrößten Autokonzern umbaut



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Ende September wollte der Chef des größten deutschen Industriekonzerns seinen Arbeitskollegen bayerische Gemütlichkeit vermitteln. Und so reisten die VW-Vorstände zum Teambuilding aufs Oktoberfest. Aber Herbert Diess wäre nicht Herbert Diess, hätte er nicht zuvor im Audi-Forum auf dem Münchener Flughafen noch eine gemeinsame Arbeitssitzung angesetzt.

Erst danach ging es ins Schützenzelt auf der Theresienwiese, wo man die Herren Manager mit Bierkrug, Brezeln und Hütchen sah. Mittendrin Anführer Diess, von dem Freund wie Feind bewundernd sagen, dbad er seine Empathie an- und ausknipsen könne wie andere Menschen einen Lichtschalter. An jenem Abend war Diess im On-Modus.

Diess weiß: Er muss alle Register ziehen, um seine Mission zu erfüllen. Die übrigen Vorstände müssen nicht nur mit dem Kopf hinter ihrem Chef und seinem Plan stehen, sondern auch mit dem Herzen. Nur dann kann der größte Umbau gelingen, den ein deutscher Konzern je gesehen hat.

Der Vorzeigebetrieb der Old Economy soll sich in einen Kampfverband der Digitalära verwandeln. Und zwar bis spätestens 2023, wenn Diess‘ Amtszeit endet. Eine Vertragsverlängerung strebt er bislang nicht an.

Es ist ein Sprint, der nicht nur über die Zukunft von Volkswagen entscheidet, sondern auch ein Stück weit über die Zukunft des deutschen Wirtschaftmodells. Neue Digitalkonzerne hat die Bundesrepublik bislang kaum hervorgebracht. Entweder es gelingt den deutschen Traditionskonzernen, sich neu zu erfinden, oder es heißt: Game Over für die Soziale Marktwirtschaft.

Gemeinhin gilt die Digitalisierung als eine Herausforderung, die sich nur in einer egalitären Führungskultur bewerkstelligen lässt, wo Entscheidungen dezentral getroffen werden, wo schnelles Scheitern als Chance gilt und das Prinzip Schwarmintelligenz den einsamen Leitwolf ersetzt.

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Diess versucht es andersherum. Digitalisierung und Aufbruch, aber mit dem Volkswagen-typischen Prinzip des Turboladers: Mehr Leistung erzeugt man am besten durch mehr Druck.

Um den ausüben zu können, hat sich Diess bei Volkswagen binnen wenigen Monaten eine enorme Machtfülle erobert. Er hat den Betriebsrat und den Eigentümerclan hinter sich, hat bei wichtigen Konzerntöchtern den Posten des Chefkontrolleurs übernommen und Schlüsselpositionen im Konzern mit Vertrauten besetzt.

Ihm entgeht nichts mehr. Widerspruch ist erlaubt, aber nur solange anschließend Diess‘ Vorgaben umgesetzt werden. „Herbert Diess verfolgt sehr ehrgeizige Ziele, die er konkret benennt“, sagt Oliver Blume, VW-Vorstandsmitglied und Chef der Konzerntochter Porsche. „Jeder weiß, woran er ist.“

Volkswagen erlebt eine Revolution von oben. Die drei Hauptherausforderungen lauten: Elektromobilität, autonomes Fahren, Effizienz. Diess‘ wichtigstes Instrument: die mittelfristige Konzernplanung, die im Großraum Wolfsburg einen ähnlichen Stellenwert einnimmt wie andernorts die Gesetzestafeln vom Berg Sinai.

An diesem Freitag, Beginn Punkt neun Uhr, entscheidet der Aufsichtsrat über konkrete Maßnahmen bis 2023, über die Jahre danach bis 2028 wird diskutiert. Der Vorstandsvorsitzende referiert vor den Kontrolleuren seine Pläne.

Es geht um ein Investitionsvolumen von rund 35 Milliarden Euro. Das Geld soll unter anderem für den Umbau bestehender VW-Werke in neue Elektroautofabriken fließen. Diess will die neuen Fabriken nicht im kostengünstigen Osteuropa oder in den USA bauen, sondern in Deutschland – wo er sie besser unter Kontrolle hat.

Am Ende werden die Kontrolleure wohl das Geld für den Umbau der Werke in Emden und Hannover freigeben. In Ostfriesland sollen 2022 nicht mehr „Pbadat“-Autos, sondern nur noch Elektro-Vehikel entstehen. In der niedersächsischen Landeshauptstadt wiederum laufen künftig überwiegend E-Modelle vom Band.

Die mehr als 20.000 Beschäftigten in den beiden VW-Werken erhalten wegen der Umstellung der Produktion auf Elektrofahrzeuge einen zusätzlichen Schutz: eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2028. Bisher war nur von 2025 die Rede – ein Zugeständnis an die Arbeitnehmerfraktion im Aufsichtsrat.

Kooperationen im Bereich autonomes Fahren

Mittelfristig soll Volkswagen insgesamt jährlich rund eine Million E-Autos bauen. Im sächsischen Zwickau wird bereits heute eine komplette VW-Fabrik für Elektrofertigung umgebaut. In rund einem Jahr soll dort die Mbadenproduktion starten.

Zentrale Bedeutung im neuen Geschäft gewinnt die Batterie, die bis zu 40 Prozent der Wertschöpfung bei E-Autos ausmachen kann. Zusammen mit SK Innovation aus Südkorea möchte Volkswagen schon bald Batteriezellen selbst produzieren.

Im Unterschied zu Daimler und BMW will Volkswagen diese Schlüsselkompetenz keinesfalls aus der Hand geben. Mit Ford aus den USA oder Baidu aus China wird über Kooperationen im Bereich autonomes Fahren geredet.

Die Verwandlung des Großkonzerns mit rund 640.000 Mitarbeitern und 230 Milliarden Euro Umsatz beginnt. Aus dem Weltmarktführer für Verbrenner soll der Weltmarktführer für Elektroautos werden.

Volkswagen soll zudem zum Tech-Unternehmen reifen, das die nötige Software für autonomes Fahren und andere digitale Dienste selbst schreibt und an der Börse dereinst den Wert von Apple, Alphabet oder Amazon erreicht. Das würde etwa einer Verzehnfachung des derzeitigen VW-Börsenwerts von gut 74 Milliarden Euro entsprechen.

Endlich wieder Treiber sein, nicht mehr Getriebener: So lautet sinngemäß der Marschbefehl der Eigentümer an Kommandant Diess. Vor einem halben Jahr feuerten die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch Vorgänger Matthias Müller und machten den vorherigen VW-Markenvorstand Diess zum Boss. Sie setzen nun ganz auf ihn und seine neue Autokratie.

Kaum noch zu hören ist das Gesäusel vom „Kulturwandel“, den sich der Automobilriese VW unter Müller verordnet hatte. Eine neue, angstfreie Unternehmenskultur sollte die Konsequenz auf den Dieselskandal sein, auf die systematische Manipulation von Abgaswerten, die im September 2015 aufflog. Der Betrug kostete den Konzern bisher mehr als 25 Milliarden Euro und reichlich Reputation.

Herbert Diess

Er will das Neue durchsetzen und verteidigt gleichzeitig mit aller Kraft das Alte.


(Foto: Bloomberg/Getty Images)

Als Vorstandschef war einst Martin „Wiko“ Winterkorn, 71, für Dieselbetrug wie Rekordumsätze verantwortlich. Ein kontrollfreudiger Manager, der die Insignien der Macht pflegte und Widerworte selten duldete. Unmittelbar nach den „Wiko“-Jahren sollte zunächst Ex-Porsche-Chef Matthias Müller in der Rolle des Konzernchefs mit der Abkehr vom autoritären Führungsstil Punkte machen.

Zeitweise glich der Konzern jedoch einer gruppendynamischen Sitzung. Selbstbesinnung kostet nun mal Zeit. „Alle sollten ins Boot, Harmonie war Pflicht“, erinnert sich ein Eingeweihter. Unter Müller-Nachfolger Diess aber fahre das Boot los, auch wenn einige noch am Kai stehen.

Anders als der barocke Sonnenkönig Winterkorn versteht es Diess, wohldosierte Signale der Normalität auszusenden. Selbst die Pförtner im Stammwerk müssen genau hinschauen, wenn ihr Chef anrollt. Vor einigen Wochen fuhr Diess im Kleinwagen „Up“ morgens kurz vor acht am Werkstor Sandkamp vor. Warteschlange, Ausweiskontrolle, Weiterfahrt.

Ich bin einer von euch, so die Botschaft. Auf einen Fahrer verzichtet Diess, wann immer möglich. Personenschützer? Danke, nein. Am Wochenende reist Diess mit dem Linienflugzeug vom Flughafen Hannover aus ins heimische München, nicht per VW-Jet vom nahen Braunschweig.

Symbolisch behielt er auch nach der Berufung zum Gesamtchef sein Büro im 13. Stock des VW-Markenhochhauses, dort sitzen seine engsten Verbündeten. Seine Zentralvorstandskollegen müssen im 100 Meter entfernten Gebäude der Konzernverwaltung ohne ihn auskommen.

Der Schreibtisch von Diess ist immer aufgeräumt. Unordnung sei ihm ein Gräuel, berichtet ein Mitarbeiter. Für Diess ist das Büro ein Ort der Arbeit, an dem er nur wenige persönliche Gegenstände hinterlässt. Eine Wohnung in Wolfsburg hat der Münchener mittlerweile gefunden.

Cholerische Ausbrüche sind Diess im Unterschied zu Winterkorn fremd. Diess redet leise, ist aber alles andere als harmlos. „Diess ist fast immer zur Attacke bereit“, meint ein Insider aus seinem Umfeld.

Der jetzige Feldzug gegen die individuelle Mobilität und damit gegen das Auto nimmt existenzbedrohende Ausmaße an. Herbert Diess, VW-Chef

Nachdem BMW-Chef Harald Krüger 2015 auf der Bühne spektakulär gestürzt war, ließ sich Diess zum Satz hinreißen, wer so einen Job mache, müsse halt auch die körperliche Konstitution dafür haben. Intern fällt er zuweilen mit flotten Sprüchen auf: „Diesen Kollegen brauchen wir doch jetzt eigentlich nicht mehr.“

Diese Provokationen setze Diess „ganz bewusst“ ein, um die Widerstandsfähigkeit seines Umfelds zu testen, sagt ein Vertrauter. Diess hbadt Trägheit, Bedenkenträger und Komfortzonen-Bewohner. Schon zum Start bei VW verkündete er, jede dritte Führungskraft im Konzern sei ungeeignet und ein zweites Drittel müsse sich richtig anstrengen.

Ungeduld sei eine negative Eigenschaft von Diess, dringt es aus dem Umfeld des Aufsichtsrats, damit ecke er immer wieder an. „Er bringt manche Leute an ihre Grenzen“, heißt es weiter. Der VW-Chef teile sicherlich mehr aus als sein Vorgänger Müller, könne aber auch mehr einstecken.

Der Diesel-Verteidiger

Diess treibt die Gewissheit an, dbad in seiner Amtszeit die großen Entscheidungen fallen werden, die darüber entscheiden werden, welche Autokonzerne den nun anstehenden Innovationsschub überleben. Das Paradoxe dabei: Diess will bei Volkswagen das Neue durchsetzen und verteidigt nach außen gleichzeitig mit aller Entschlossenheit das Alte.

Solange Volkswagen nichts anderes hat als den Verbrennungsmotor, muss Diess unbedingt eines verhindern: dbad die Autobranche durch Diesel-Fahrverbote und allzu strenge Co2-Grenzwerte noch weiter in Bedrängnis gerät.

So hat Diess innerhalb gut eines Jahres schon dreimal in publikumsstarken Talkshows („Anne Will“, „Maybrit Illner“) erklärt, dbad Autos in Deutschland verteufelt werden, Stickoxid-Messungen anzuzweifeln sind und die bösen anderen (Busse, Lkws, Schiffe) ja viel mehr Schadstoffe in die Luft jagen.

Das sind mutige Auftritte für einen deutschen Topmanager. Denen raten ihre Kommunikationsberater nämlich normalerweise von Talkshows ab: Zu unkontrollierbar die Diskussion, zu wenig Gelegenheit für differenzierte Argumente. Aber eine gute Chance, hinterher als böser Bonze dazustehen, der Kinder mit Abgasen vergiftet.

In der Sache beinhart

Diess aber sitzt ungerührt auf den Talkshowstühlchen, lächelt, lässt sich nicht provozieren und zeigt sogar Verständnis für Kritik an den Verfehlungen des alten Managements. Aber in der Sache bleibt der Mann beinhart. Keine Nachrüstung, keine Entschädigung der europäischen Kunden.

Die Politik kann mit dem VW-Chef und seinem Hang zur klaren Kante nicht immer etwas anfangen. Aus dem Umfeld von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) heißt es, die Wolfsburger zeigten sich mit ihrem ewigen Hinhalten bei „Dieselgate“ undankbar.

Bei VW wiederum herrscht die Überzeugung vor, die Politik habe immer noch nicht kapiert, was die Stunde geschlagen hat. Dbad womöglich durch die Digitalisierung 100.000 Jobs bei VW und noch einmal eine Million Stellen in der Zuliefererindustrie verloren gehen könnten.

Damit es auch wirklich jeder versteht, hat Diess vor Kurzem bei einem Kongress für Zulieferer im eigenen Haus so richtig in Schwarz gemalt. „Der jetzige Feldzug gegen die individuelle Mobilität und damit gegen das Auto nimmt existenzbedrohende Ausmaße an“, befand er, die Chancen stünden „vielleicht bei 50 zu 50“, dbad Deutschlands Autoindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehöre.

Das ist der Trick von Diess: Je größer der Druck, desto leichter lbaden sich Änderungen durchsetzen. „Ich mag es gerne schwierig“, sagt Diess regelmäßig in Interviews.

Doch über den Einsatz pro Auto geriet ein wenig in Vergessenheit, dbad die Hauptaktionäre ihn auch dazu verdonnert haben, für bessere Beziehungen zur Berliner Politik zu sorgen. Zuletzt schickte der durchgetaktete Volkswagen-Lenker Porsche-Chef Oliver Blume zum Dieselgipfel nach Berlin, obwohl Minister Scheuer ausdrücklich die CEOs der Gesamtkonzerne geladen hatte. Diess führte eine Terminkollision als Entschuldigung an. Das muss man gegenüber dem Verkehrsminister erst mal bringen.

Falsche und auch sonstige Bescheidenheit hat Herbert Diess noch nie ausgezeichnet. Er besitzt das unbändige Selbstbewusstsein des erfolgreichen Aufsteigers. Diess‘ Eltern, einfache Arbeiter, waren aus dem Salzburger Land an die Isar gekommen. Obwohl München seine Heimatstadt ist, besitzt Diess bis heute den österreichischen Pbad.

Abendspaziergang in Stuttgart

VW-Chef Diess liebt schnelle Autos, auch von anderen Marken.


(Foto: Niels Starnick/Bild am Sonntag)

Der Junior machte Mittlere Reife, arbeitete sich über den zweiten Bildungsweg nach oben, studierte Fahrzeugtechnik und Maschinenbau. Nach dem Studium hatte der promovierte Ingenieur zunächst vier Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München gewirkt, ehe er 1989 beim Autozulieferer Bosch begann und sieben Jahre später zu BMW wechselte. Hier entwickelte sich eine flotte Karriere, die 2007 mit einem Vorstandsposten (Einkauf, später Forschung und Entwicklung) belohnt wurde.

Der Neue hatte Erfolg als „Kostenkiller“. Niemand sparte so viel Geld ein wie Diess. Doch klar war auch, dbad der unbequeme, trickreiche und bisweilen rabiate Manager für den Chefposten beim Konsenskonzern BMW nicht infrage kam. Als sich Diess dann auch noch der BMW-Vorstandsaltersgrenze von 60 näherte, vernahm man bei VW von der anschwellenden Unzufriedenheit des BMW-Manns.

Im Sommer 2014 redete der damalige Vorstandschef Winterkorn mit Diess, ermuntert vom langjährigen Firmenpatriarchen Ferdinand Piëch. Aber erst ein zweites Gespräch kurz vor dem Pariser Autosalon 2014 brachte den Durchbruch. Im Dezember reiste Diess zur Vertragsunterzeichnung nach Salzburg zu Veteran Piëch.

Zur Begrüßung ausgepfiffen

Zum Start in Wolfsburg als VW-Markenchef schreckte der Neue erst einmal mit allerlei Rationalisierungsideen. So viel Schlendrian bei so hohen Produktionskosten und so viel Macht der IG Metall war Diess bei BMW nicht gewohnt gewesen. Und so entschloss er sich zum Konflikt mit dem mächtigen Betriebsrat Bernd Ostlerloh. Auf einer Betriebsversammlung wurde Diess für seine Sparpläne gnadenlos ausgepfiffen. Der Manager gelobte danach Besserung – und hatte die Machtgrenze doch ein wenig verschoben.

Der Zwist mit Osterloh ist einem Zweckbündnis gewichen, seit die beiden gemeinsam den Sturz des Kurzzeit-CEO Müller vorantrieben. Ausgeheckt wurde die Ablösung ursprünglich vom Eigentümerclan Porsche-Piëch. Dem ging der Umbau unter Müller nicht schnell genug.

Die Familie holte dann Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil an Bord. Diess selbst flog regelmäßig nach Salzburg, um die Familie über die Entwicklung im Konzern zu informieren. Mit jedem Besuch qualifizierte er sich mehr für den Job an der Vorstandsspitze.

Am Ende wurde Diess Vorstandschef, und Osterlohs enger Vertrauter Gunnar Kilian avancierte zum Personalvorstand. Seitdem bewirtschaften Diess und Osterloh einen stabilen Männerbund der Machterhaltung. Der Manager weiß, dbad er auf die Gewerkschafter Rücksicht nehmen muss.

So nahm Diess Abstand vom Plan, bei Audi den Finanzchef Alexander Seitz zum Interim-CEO zu machen. Diess berief stattdessen Bram Schot, den Favoriten der Arbeitnehmer.

Wenige Wochen später ließ er zudem den bei den Beschäftigten beliebten Ralf Brandstätter zum Chief Operating Officer für die Marke Volkswagen aufrücken. Ausgerechnet Arbeitnehmerliebling Brandstätter muss nun Kosten drücken, um die Diess-Vorgabe von acht Prozent Umsatzrendite zu verwirklichen. Derzeit sind es magere vier Prozent.

Neben den Arbeitnehmern und der Eigentümerfamilie hat sich Diess noch einer dritten Machtbasis versichert. Instinkt und Neigung ließen Diess gleich nach Eintritt in die VW-Konzernwelt 2015 die Nähe zur Technischen Entwicklung (TE) suchen, der inoffiziellen Herzkammer des Unternehmens.

Hier entstehen die Modelle der Zukunft. Und wer Chef des Gesamtkonzerns sein will, versichert sich besser des Respekts der Ingenieure von der TE. Bernd Pischetsrieder und Matthias Müller fanden ihn nicht. Beide blieben Kurzzeitchefs in der Historie von Volkswagen.

Nichts soll ihm entgehen

Zielgerichtet hat Diess auch die Aufsichtsratschefposten der Konzerntöchter Audi, Skoda und Seat mit seinem engsten Verbündeten besetzt: sich selbst. Die Marke VW leitet er ebenfalls, und natürlich sitzt er in den Boards wichtiger Joint Ventures wie dem Gemeinschaftsunternehmen mit den chinesischen Staatsfirmen SAW und BAIC. Nichts soll ihm im eigenen Weltreich entgehen.

Die wöchentliche Vorstandssitzung am Dienstag leitet Diess mit schnörkelloser Direktheit. Porsche-Chef Blume: „Er setzt klare Leitplanken, fordert aber auch eine Diskussion ein. Dabei lässt er sich von anderen Positionen überzeugen, wenn man gute Argumente dafür hat.“

Für die man aber bitte nicht zu lange brauchen sollte, denn: „Er ist halt ein ungeduldiger Mensch“, wie es in seinem Umfeld heißt. Wichtig sei ihm auch, dbad die Mannschaft möglichst vollzählig da sei. „Er findet es nicht gut, wenn jemand den Raum verlässt, etwa um zu telefonieren.“ Dank dieses Effizienzpakets dauern viele Vorstandssitzungen nur noch drei Stunden. Fast fünf Stunden war einst Normalmaß.

Anders als bei Vorvorgänger Winterkorn, der sich bevorzugt mit willfährigen Getreuen umgab, holte Diess durchaus starke Figuren in seine Nähe. Das seien „Angriffsspieler“ und keine Abnicker, sagt ein wichtiger VW-Mann: „Er schaut genau, wer ihm helfen kann.“ So übernahm Stefan Sommer, lange Chef des Autozulieferers ZF in Friedrichshafen, das Ressort Einkauf. Ex-Opel-Chef Thomas Sedran kümmert sich um die Nutzfahrzeugsparte, die eine Grundsanierung benötigt.

Und von BMW, der einstigen Wirkungsstätte, ist Vorstand Markus Duesmann avisiert, ursprünglich für den Audi-Chefposten vorgesehen. Empört über die Abwerbung durch den Ex-Mitarbeiter Diess sperrt sich der Münchener Rivale jedoch gegen eine vorzeitige Freigabe.

Audi-Nacht in Salzburg

Auftritt des Ehepaars Diess.


(Foto: German Select/Getty Images)

Gut möglich aber, dbad nun ein schon einmal besprochenes, dann wieder abgesagtes Gegengeschäft erneut scharf gestellt wird. Es sieht vor, dbad Duesmann frühzeitig gehen darf und BMW im Gegenzug für geschätzte 340 Millionen Euro den Audi-Anteil (8,33 Prozent) am FC Bayern München übernimmt, zuzüglich eines Aufgelds für den Sponsorenvertrag. Diess könnte dann den Neuzugang Duesmann und eine halbe Milliarde Erlös verbuchen.

Die Beteiligung am Rekordmeister wird Diess nicht vermissen. Eine übertriebene Nähe zu Deutschlands Volkssport Nummer eins ist vom VW-Chef nicht überliefert. Am Arbeitsort Wolfsburg zeigt sich der CEO zwar schon mal publikumswirksam auf der Tribüne im Stadion des Bundesligisten VfL Wolfsburg. So etwas erwartet das Personal von VW.

Doch auch dabei gibt der Manager seine ihn oft umwehende Distanziertheit nicht auf. Undenkbar, dbad er wie einst Winterkorn noch lange nach Spielende im Wolfsburger VIP-Raum ausharrt, um mit dem Trainer über die beste Aufstellung zu fachsimpeln.

Sportlich fordert sich Diess lieber mit Trecking- oder Skitouren in den Alpen, die er von München aus schnell erreicht. Mit Ende 50 hat er auch noch mit Kite-Surfen begonnen. „Dafür“, sagt Diess, „braucht man nicht viel Kraft.“ Es komme vielmehr auf Geschicklichkeit, Körperbeherrschung und Intelligenz an.

Sein Privatleben schirmt der mit einer Lehrerin verheiratete Familienvater dreier erwachsener Kinder sorgsam ab. Bekannt ist immerhin, dbad er zu einem Kreis ehemaliger BMW-Manager Kontakt hält, die er aus jungen Jahren im Münchener Vierzylinder-Hochhaus kennt.

Ausfahrten mit dem roten Ferrari

Lustgewinn findet der Hochgeschwindigkeitsmanager auch bei Ausfahrten mit seinem roten Ferrari, dem Prunkstück seines Fuhrparks. Das Kennzeichen M-HD-458 verweist auf seine persönlichen Initialen und die Typ-Bezeichnung des raren Sportautos.

Normalerweise gilt für Volkswagen-Manager die ungeschriebene Regel, sich auf der Straße ausschließlich mit Konzernprodukten fortzubewegen. Diess jedoch denkt gar nicht daran, seinen Ferrari gegen einen Lamborghini aus der Volkswagen-Kollektion auszutauschen.

Im Restaurant Itxaso Tapas

Der Vorstandschef stößt hier auch gerne mal auf Erfolge an.


(Foto: Itxazo)

Kurios: Diess hat vor sechs Jahren im Münchener Glockenbach-Viertel, einer Ausgehzone südlich der Altstadt, zusammen mit Ehefrau Irene und Sohn Andreas die Tapas-Bar „Itxaso“ eröffnet. Sie ist für Diess eine Reminiszenz an frühere Jahre in der nordspanischen Region Kantabrien.

Damals, in den 1990ern, leitete er für Bosch als technischer Geschäftsführer eine Lichtmaschinenfabrik in Treto. Die Berge dort erinnern den fließend spanisch sprechenden Manager ans Allgäu. Und so besitzt Diess noch heute ein Haus in Kantabrien. Immer wieder reist er in seine Lieblingsregion. 

Tesla ist das neue Toyota

Doch an Urlaub ist derzeit für Diess nicht zu denken. Er will an diesem Freitag vor dem Aufsichtsrat sein Meisterstück abliefern. Wenn alles wie geplant läuft, läutet der Aufsichtsrat an diesem Freitag einen radikalen Wandel in der VW-Welt ein. 14.000 Jobs fallen netto bis 2020 weg, und das wird nicht der Endpunkt sein. Eine E-Autofabrik braucht 20 bis 30 Prozent weniger Leute. Auch das Stammwerk Wolfsburg will Diess nicht verschonen, allein schon um dem Konzern zu zeigen, wie ernst es ihm ist.

Schon 2017 hatten die Aufsichtsräte insgesamt 34 Milliarden Euro für Elektrifizierung und Digitalisierung bewilligt. Die Summe gilt indes nur bis 2022 – jetzt geht es um die Zeit bis 2023. Und die darauffolgende Phase bis 2028 wird vorbesprochen. Es ist eine Periode, an deren Ende vielleicht nicht mehr Bosch, Conti/Schaeffler oder ZF die wichtigsten Partner von VW sind, sondern amerikanische IT-Riesen, die aus dem Wust anfallender Daten neue Geschäfte machen können.

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„Herbert Diess ist sehr gut in der Technologiebranche vernetzt“, sagt Porsche-Chef Blume. „Er nutzt diese Verbindungen für Volkswagen.“ Mit Tesla-Chef Elon Musk hat er sich wiederholt getroffen, ebenso mit Vorständen von Google, Apple und Alibaba.

Im Grunde blendende Bedingungen für den Alleinherrscher, seinen Fünfjahresvertrag bis Frühjahr 2023 zu erfüllen. Eine Störgröße aber erschüttert das Idyll: die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt auch gegen Herbert Diess. Hat er zusammen mit dem damaligen CEO Winterkorn und Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch (heute Aufsichtsratschef) im Sommer 2015 die VW-Aktionäre zu spät über die Abgasaffäre informiert?

Diess, der damals gerade erst von BMW gekommen war, weist jeden Verdacht von sich. Doch am VW-Konzernsitz wird nicht mehr ausgeschlossen, dbad die Staatsanwaltschaft Braunschweig im nächsten Frühjahr Anklage auch gegen den VW-Chef erheben könnte. Es gibt dem Vernehmen nach Papiere von einem frühzeitigen Treffen, bei dem Diess anwesend gewesen sein soll und auf dem vom „Defeat Device“ die Rede gewesen sein soll. Offiziell will Diess erst Wochen später vom Dieselbetrug erfahren haben.

Langes Ringen im Fall Stadler

Es bleibt die Gefahr, dbad mitten im Umbau des Konzerns ein Schatten auf den Reformer fallen könnte. Womöglich müssten die VW-Aufsichtsräte dann entscheiden, ob ein angeklagter Konzernchef eine Zukunft im VW-Reich haben kann. Den Vorstandsvorsitzenden jetzt, nach nur einem Jahr, schon wieder auszutauschen, „das wäre das Letzte, was wir in der aktuellen Situation brauchen könnten“, warnt ein VW-Manager.

Im Fall von Rupert Stadler hat Diess lange mit sich gerungen. Der damalige Audi-Chef Stadler war im Juni wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft gelandet, weil er versucht haben soll, Zeugen im Dieselskandal zu beeinflussen. Lange schien es, als wolle Diess am inhaftierten Vorstandschef festhalten, doch dann entschied er sich letztlich gegen ihn. Anfang Oktober musste Stadler gehen. Auch Diess wird daher nicht auf die Nibelungentreue der Aufseher pochen können, falls es gegen ihn zur Anklage kommt.

Unter Investoren genießt Diess trotz der Altlast großes Vertrauen. Seine Berufung sei „ein weiterer Schritt, um aus Volkswagen ein modernes und effizientes Unternehmen zu machen“, lobt Arndt Ellinghorst, Autobadyst beim Investmenthaus Evercore ISI. Beim Elektroantrieb werde der Wolfsburger Verbund Standards für die Branche setzen und der Batterietechnik zum Durchbruch verhelfen.

Thema: Volkswagen

Wenn er Erfolg hat, wird Diess Managementgeschichte schreiben. Dann hat er für Deutschlands wichtigsten Konzern eine Zukunftsherausforderung gemeistert, die sich allenfalls noch mit dem Vormarsch der japanischen Hersteller in den 1980er-Jahren vergleichen lässt. Auch damals gaben manche Experten die deutsche Autobranche schon verloren. Doch den hiesigen Herstellern gelang im Unterschied zu vielen westlichen Konkurrenten, die Japaner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

Volkswagen und CO. übernahmen rasch die neuen Managementmethoden, mit denen vor allem Toyota Produktion und Qualitätssicherung revolutioniert hatte. Begriffe wie Kaizen und Kanban gehörten bald auch in deutschen Autofabriken zum Sprachgebrauch. Am Ende gingen die drei deutschen Autokonzerne stärker aus dieser Innovationswelle hervor, weil sie gelernt hatten, bessere Fahrzeuge zu niedrigeren Kosten zu bauen.

Ein Kampf nach seinem Geschmack

Was der Branche jetzt bevorsteht, bedeutet eine womöglich noch größere Herausforderung mit noch größeren Chancen im Erfolgsfall. Die neuen Wettbewerber heißen nicht nur Tesla und Uber, sondern auch Apple und Google. Es geht um den Kampf, wer die Definitionsmacht über die Mobilität der Zukunft besitzt: die Autohersteller – oder die IT-Konzerne.

Es ist ein Kampf ganz nach dem Geschmack eines Mannes, der es gerne schwierig mag.

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