Liebe kennt keine Farben – News Kultur: Film



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Wie man den Boden unter den Füssen verliert, wusste sie. Und sie kannte die Tricks, wie man etwas in Szene setzt: durch Lenkung des Lichts, durch plötzliche Verdunkelung, Perspektivenwechsel, durch harte Schnitte, schnelle Dialoge. Die Geschichten, die Kathleen Collins in ihren Zwanzigern und Dreissigern geschrieben hat, atmen den Aufbruchsgeist der 60er-Jahre. Sie haben eine ungeheure Wucht, eine schroffe Eleganz und kühne Beweglichkeit. Sie sind alles andere als perfekt und haben doch einen Glanz, den der neu gegründete Zürcher Kampa-Verlag und die Übersetzer Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg nun für ein deutschsprachiges Publikum zum Leuchten bringen.

Wie präsentiert man das Werk einer Autorin, die es bisher als Schriftstellerin nicht gab? Kathleen Collins arbeitete vor allem als Filmemacherin, Dozentin für Filmgeschichte und Dramatikerin in New York, ihre beiden Kinder zog sie alleine auf. Die sechzehn Storys, manche nur wenige Seiten lang, sind 2016 unter dem Titel «Whatever Happened to Interracial Love?» erschienen, herausgegeben von Collins’ Tochter Nina. Kathleen Collins starb 1988 mit 46 Jahren an Brustkrebs.

Die Geschichten haben etwas Unverstelltes, ohne naiv oder einfach zu sein. Es ist die gleiche Offenheit und Intelligenz, der gleiche zugewandte Humor, den Kathleen Collins auch auf Fotos ausstrahlt. Wenn man ihre Tochter und die Schauspielerin Seret Scott in dem kleinen Film, den der Kampa-Verlag auf seiner Website verlinkt, über sie reden hört, dann klingt das wie eine Liebeserklärung, nicht nur an die Person, sondern auch an die Stimmung, die sie am Set und im Gespräch erzeugen konnte.

Seret Scott spielte in Collins’ wichtigstem Film eine Philosophie-Professorin in der Ehekrise. «Losing Ground» wurde auf europäischen Festivals gezeigt, fand aber in den Staaten keinen Verleih. Erst 2015 sorgte er bei seiner New Yorker Premiere für Furore. Wer sich erinnert, wie viel Aufmerksamkeit vor zwei Jahren Barry Jenkins’ «Moonlight» bekam, der die Perspektive eines jungen, homosexuellen, afroamerikanischen Mannes einnahm und mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, kann ermessen, wie weit Collins ihrer Zeit voraus war, als sie Anfang der 80er-Jahre ein Setting wie von John Updike mit afroamerikanischen Charakteren besetzte und selbst Regie führte.

Bei Collins spielt das Licht eine Hauptrolle

Selten findet man bei einer jungen Autorin so viele verschiedene Erzählerstimmen. Sie probiert Standpunkte aus. Und sie lässt das Licht eine Hauptrolle spielen. Da entdeckt eine Studentin, dass ihre Depressionen gar nichts mit ihrer Hautfarbe zu tun haben, wie ihr der Psychiater einreden will, und auch nicht mit Liebeskummer, sondern damit, dass sie sich das hinterste und dunkelste Zimmer in der Wohnung ausgesucht hat, die sie mit einer anderen Studentin – «(‹weiss›)» – teilt. Es ist eines der erzählerischen Bravourstücke des Bandes.

Kathleen Collins war in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Sie studierte in New York und Paris. Literarisch experimentierte sie mit unterschiedlichen Stilmitteln, um die Hautfarbe ihrer Protagonisten kenntlich zu machen, auch und gerade dann, wenn sie davon erzählen wollte, dass sie keine Rolle mehr spielt.

«Was ist nur aus der Liebe zwischen den Rassen geworden?» erwähnt bei jeder Figur die Hautfarbe, in Klammern und Anführungszeichen. Die Erzählung beschwört die Aufbruchstimmung von 1963 und registriert, dass schon zwei Jahre später die Zahl der gemischten Paare wieder abnahm. Wäre es nicht klüger, auf «Liebe statt Politik» zu setzen, fragt sich Cheryl «(‹schwarz›)», deren Vater, der erste «farbige» Rektor von New Jersey, nach einem Schlaganfall im Krankenhaus liegt und die politischen Aktivitäten seiner Tochter beargwöhnt. Wenn er sie mit seinen «Mittelschichtsaugen» anblickt, fühlt es sich an, als werde ihre Haut dunkler. Er sollte einsehen, denkt sie, «dass Rasse als Problem, Rasse als sozialer Faktor, Rasse als politische und ökonomische Barriere der Vergangenheit angehört. Sieht er denn nicht, dass die Liebe keine Farben kennt?»

Das Engagement für die Bürgerrechtsbewegung war die Herausforderung der Stunde. Und doch erzählen ebenso viele Storys von weiblicher Unsicherheit und männlicher Chuzpe. Die Geschichte «Nur einmal» handelt von einem dieser Männer, die in Scharen diesen Band bevölkern: von sich überzeugt, provokant und sexy, aber mit einem Hang zur Selbstzerstörung und jenseits von Verantwortungsgefühl. Der coole Typ, von dem es heisst, so einen treffe man «nur einmal» im Leben, balanciert auf der Brooklyn Bridge und animiert die Freundin zu riskanten Sprüngen. Am Ende ist er tot, wie viele der männlichen Protagonisten. Oft verwandeln sie die Demütigung, die sie wegen ihrer Hautfarbe erfahren, in Arroganz oder Lethargie.

Die Autorin hat zarte Antennen für diesen Schmerz. Von einem einst sportlichen Onkel heisst es, er habe «sein Leben so gründlich in Leid ertränkt», dass er ihm damit «alle Ehre» erweise. Die Sehnsucht nach Licht, Ruhe und hellen Zimmern ist das Gegenstück zum Chaos der Künstler-Lofts in Soho.

Als die Dekonstruktionnoch kein Ausweg war

Kathleen Collins’ Mutter starb wenige Monate nach ihrer Geburt. Die Beziehung zum Vater, der erst Leichenbestatter war, dann Leiter einer Grundschule, ehe er als erster Afroamerikaner ins Parlament von New Jersey einzog, war problematisch. Die Tochter konnte als Freundin und Regisseurin offenbar die Stimmung erzeugen, die sie den Erzähler imaginieren lässt, «man tauchte ein in eine Atmosphäre der Neugier und Offenheit, der Grossherzigkeit, man blühte innerlich auf (…).»

Der Erzählungsband «Nur einmal» erschliesst ein Werk, dessen Autorin fragwürdige Konzepte wie Rasse, Geschlecht und Herkunft zu einer Zeit durchdachte, als die Dekonstruktion noch kein Ausweg war. Das macht ihren Stil zupackend, beweglich, manchmal auf charmante Art verwackelt, als schriebe sie mit der Handkamera.

Kathleen Collins: Nur einmal. Storys. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg. Kampa, Zürich 2018. 188 S., ca. 32 Fr.

(Redaktion Tamedia)

Erstellt: 18.10.2018, 18:33 Uhr

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